Debatte über die geplante Antisemitismus-Resolution des Deutschen Bundestags
Nach über einem Jahr haben sich am 1.11.2024 die Fraktionschefs von SPD, FDP, CDU/CSU und Grünen auf eine gemeinsame Bundestagsresolution gegen Antisemitismus geeinigt. Die Resolution soll nach Möglichkeit noch vor dem symbolträchtigen 9. November verabschiedet werden.
Hier zunächst der Wortlaut des Entwurfs
Bereits im Vorfeld gab es erhebliche Kritik an der geplanten Resolution.
Einen Überblick über die Diskussion bieten
https://www.zeit.de/kultur/2024-11/resolution-antisemitismus-schutz-ampelkoalition-union
https://taz.de/Kritik-an-Antisemitismus-Resolution/!6046478/
Alternative Formulierungsvorschläge wurden am 23.10.2024 in der FAZ veröffentticht:
Die Vorschläge werden unterstützt durch einen offenen Brief
Kritik am Resolutionsentwurf kommt auch von amnesty international, pax christi und anderen Menschenrechts- und humanitären Hilfsorganisationen
https://www.amnesty.de/aktuell/deutschland-antisemitismus-resolution-gefaehrdet-grundrechte
Kritik kommt aber auch von israelischen Menschenrechtsorganisationen, die ihre Arbeit vor Ort durch die Resolution gefährdet sehen
https://www.ipg-journal.de/regionen/naher-osten/artikel/am-ziel-vorbei-1-7795/
https://www.deutschlandfunk.de/antisemitismus-resolution-bundestag-israel-100.html
Hauptkritikpunkte sind
- die Definition von "Antisemitismus" durch die IHRA-Definition (siehe unten), die es ermöglicht, Israelkritik bzw. sogar Kritik an der israelischen Regierung als "Antisemitismus'" zu brandmarken.
- die Überprüfung von Förderanträgen gemäß der IHRA-Definition.
- die Vermischung von Bekämpfung von Antisemitismus und bedingungsloser Solidarität mit Israel/ der israelischen Regierung.
- und damit die Nicht-Benennung der eventuell völkerrechtswidrigen Vorgehensweise der israelischen Armee im Gaza-Streifen und im Libanon
- die Nicht-Einbeziehung aller relevanten, vor allem auch der kritischen zivilgesellschaftlicher Organisationen bei die Erarbeitung der Resolution.
Ergänzende Kritikpunkte meinerseits:
- Der Entwurf liest sich wie eine Aneinanderreihung verschiedener Entwürfe, ohne sie zu einem systematischen Entwurf zu verarbeiten: So geht es mit Gründen für die Resolution, mit der Vorgeschichte, der Beschreibung von Antisemitismus und den Zielen wild durcheinander, ebenso wie mit den vorgeschlagenen Maßnahmen.
- Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem "israelbezogenen" und "links-antiimperialistischen" Antisemitismus sowie dem durch Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Nahen Osten importierten "islamistischen" Antisemitismus.
- Peinlich finde ich den ausdrücklichen Dank an den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein. Ein Dank an die vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen fehlt jedoch ebenso wie die Forderung nach einer besseren Förderung dieser Gruppen.
Fazit: Die geplante Resolution wird die Diskussion nicht befrieden, sondern vielmehr befördern, vor allem bleibt die Definition des "harten" Antisemitismus sehr unscharf.
Die Antisemitismus-Definitionen und die Folgen
Hier die zwei wichtigsten und umstrittensten aktuellen Antisemitismus-Definitionen
Zunächst die sog. IHRA-Definition
mit der Erweiterung im Anti-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestags
vgl. Website des Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus
Die (Gegen-)Erklärung der "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit"
Vergleiche dazu:
Art. 5 Grundgesetz
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Ein Wortwechsel zwischen den Hauptkontrahenten zum Thema im "Deutschlandfunk" vom 11.12.2020
Nakba vs. Unabhängigkeitskrieg
Dem palästinensichem Narrativ von der Nakba steht die israelische Darstellung des Unabhängigkeitskrieges gegenüber.
Zwei Ausstellungen bzw. Handreichungen dokumentieren diese gegensätzlichen Perspektiven.
Die israelisch-jüdische Sicht: Mythos#Israel1948
vgl. taz vom 16.5.2024
Homepage von Masiyot e.V.
Die palästinensische Sicht: Die Nakba-Ausstellung (derzeit heftig umstritten in München zu sehen)
Homepage der Initiative "Flüchtlingskinder im Libanon"
vgl. SZ vom 15.5.2024 (Bezahlschranke)
YouTube-Video von der Ausstellungseröffnung
Zumindest online lassen sich diese beiden Perspektiven gegenüberstellen. Noch besser wäre eine konkrete Gegenüberstellung vor Ort...
Handreichung zu Antisemitismus und Debattenkultur
Eine auch von Josef Schuster empfohlene Handreichung zur Debatte über Antisemitismus
Blog "Gleichzeit"
Absolut empfehlenswert: "Gleichzeit": Ein wöchentlicher "Brief"wechsel/ Blog zwischen Sasha Mariann Salzmann (Berlin) und Ofer Waldmann (Haifa) zwischen Oktober 2023 und Januar 2023. Beide finden nach dem sprachlosen Entsetzen nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober und angesichts der Vergeltungsaktion der israelischen Armee im Gaza-Streifen allmählich wieder die passenden Worte und Bilder:
https://blog.klassik-stiftung.de/1-gleichzeit/ (Text, nahezu identisch mit der Buchausgabe)
Lesung/ Podcast:· Blog "Gleichzeit" – Über jüdische Existenz in Terror und Krieg
Dazu ein aktuelles Interview mit den beiden im "Tagesspiegel" vom März 2024